Tag 5
Mit dem Dienstwagen geht es heute zum „Sapporo Education Center“. Dort bekomme ich eine umfassende Einführung in das Konzept durch die Leiterin der Einrichtung. Das „Zentrum für Kleinkindpädagogik“ ist ein Beratungs- und Kompetenzzentrum für Familien mit Kindern mit Behinderung, aber auch für Lehr- und Erziehungskräfte, die sich im weit gefassten Kontext Inklusion bewegen. Mit dieser Einrichtung setzt die Stadt Sapporo einen bildungspolitischen Schwerpunkt, dessen Notwendigkeit durch die große Nachfrage bestätigt wird. Bildung soll, anders als bisher, „von Anfang an“ in den Blick genommen werden.
Neben der zentralen Einrichtung, die ich heute besuche, gibt es in neun weiteren Stadtbezirken Beratungszentren mit ähnlichem Angebot, die den Familien eine wohnortnahe Anlaufstelle bieten und auch Ansprechpartner für die Kindertagesstätten und Schulen im Bezirk sind. Die Idee der Dezentralisierung gibt es ja auch in München in vielen Bereichen, wie zum Beispiel die Sozialbürgerhäuser und die BildungsLokale. Gerade die einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit mit Tagesbetreuung und Schulen wird hier im Sapporo Education Center sehr gefördert. Daher stehen die Angebote nicht nur den Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft zur Verfügung, sondern auch den privaten, die deutlich in der Überzahl sind. Im Bereich „Kindergarten“ (3-6 Jahre) beispielsweise stehen den neun öffentlichen (= staatlichen) Einrichtungen 115 private gegenüber, deren Träger, wie bei uns, Kirchen und Jugendhilfe, aber auch Privatleute sind. Auch Fortbildungen finden hier statt. Die Beratungsthemen sind vielfältig, Schwerpunkte werden gesetzt bei Lernschwäche und ADHS. Zudem gibt es an jedem Beratungszentrum eine Ansprechperson für Eltern mit Erziehungsproblemen.
An jeder der öffentlichen Einrichtungen in den neun Bezirken arbeitet außerdem je eine speziell ausgebildete Inklusionslehrkraft, die wiederum bei der städtischen Schulbehörde angestellt ist. Diese Lehrkraft steht dann vormittags den Einrichtungen zur Verfügung und ist nachmittags erreichbar für die Eltern im Bezirk. Eine große pädagogische Herausforderung in Japan allgemein ist Schülermobbing und Schulverweigerung. Auch zu diesen Themen gibt es Angebote im Zentrum. Herr Ogawa (im Bild links, rechts eine Mitarbeiterin der Schulbehörde) gibt uns Einblick in die Räumlichkeiten und in seine tägliche Arbeit. Er und seine Kolleginnen und Kollegen leisten mit ihrer Beratungsarbeit einen sehr wichtigen Beitrag für die Stadt Sapporo und ich kann nach seinem Bericht nachvollziehen, dass das Angebot unbedingt ausgebaut werden muss, da die Nachfrage stetig steigt. Vielleicht ergibt sich ja in München noch Gelegenheit, im beruflichen Kontext ausführlicher zu diesen Themen zu berichten.
Am Nachmittag bin ich zu Besuch im „Zentrum für Praktisches Lernen“, das angedockt ist an eine Mittelschule in einem der Bezirke und ebenso im Bereich Inklusion tätig ist. Der Leiter des Zentrums, ein ehemaliger Schulleiter, der im „Ruhestand“ weiter berufstätig ist (was in Japan üblich ist), arbeitet in den Werkstätten handwerklich überwiegend mit Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizitstörungen. Je nach Alter bereitet er Holzarbeiten vor, die dann gemeinsam gefertigt werden. Dazu kommen Gruppen aus den verschiedenen Bezirken mit ihren betreuenden Lehrkräften an das Zentrum, manche zwei Mal pro Jahr, andere ein Mal im Monat und die Schülerinnen und Schüler der Schule, in der auch das Zentrum untergebracht ist, sind zwei Mal pro Woche in der Werkstatt. Am Liebsten hätte ich gleich mit gearbeitet, so sehr hat mich dieses Konzept und die Werkstatt begeistert! Einmal im Jahr, zum Ende des Schuljahres, das von April bis März geht, werden die Holz- und Papierarbeiten bei einer großen Ausstellung an Eltern und Interessierte verkauft, die Einnahmen werden dann wieder dazu verwendet, Holz und Material zu kaufen. Für die Jugendlichen ist das immer eine großartige Veranstaltung und Bestätigung, sind doch die Arbeiten jedes Mal ausverkauft! Beeindruckt war ich auch vom Werkstattleiter, der mit sehr viel Engagement und Leidenschaft diese Arbeit macht! Und besonders glücklich bin ich über das Geschenk, das ich mir aussuchen durfte: Ein Besteckkasten für die Stäbchen, wie man ihn in jedem Restaurant hier findet. Der wird natürlich gleich zu Hause eingesetzt!
Ein Tag mit sehr vielen Eindrücken geht zu Ende, ich laufe noch ein wenig durch die abendliche Stadt und starte dann morgen in das Wochenende. Am Samstag bin ich in Sapporo unterwegs, am Sonntag mache ich einen Ausflug nach Noboribetsu ins Hell Valley – und natürlich werde ich dort ein Bad in den heißen Quellen nehmen 🙂 Ich habe mir einen Japan Rail Pass gekauft, mit dem ich alle Züge in Japan benutzen kann, daher werde ich mit dem Zug fahren und bin schon neugierig, wie es mir ergehen wird ohne Begleitung, die mir ja die ganze Woche über zur Verfügung stand. An Bahnhöfen und in Hotels wird ein wenig Englisch gesprochen, ansonsten vertraue ich auf meine – wenigen – Sätze, die ich auf Japanisch kann. Lesen kann ich so gut wie nichts, doch die japanische Schrift zu erlernen wäre ein mehrjähriges Unterfangen. Um einfache Texte lesen zu können, sind 2000 Zeichen notwendig, für schwierigere benötigt man 3000 bis 5000 Zeichen…