Tag 28
„Alles hat seine Grenzen. Auch das Denken. Man sollte diese Grenzen respektieren, aber sich auch nicht fürchten, sie zu durchbrechen. Das ist das Wichtigste, um frei zu werden. Respekt und Abneigung gegenüber den Grenzen. Die wichtigsten Dinge im Leben haben immer zwei Seiten. Soweit ich es sagen kann.“
Aus: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ von Haruki Murakami, Seite 63
Diese Frage habe ich mir oft gestellt: Wie lebt man in einem Land, in dem das Alltags- und Berufsleben sehr stark reglementiert ist? Wo und wie ist Freiheit im Denken und Handeln möglich? Im Sinne der „zwei Seiten“ bedeuten dabei Regeln ja nicht nur Einschränkung, sondern auch Sicherheit und Orientierung. Doch bleiben Handlungs- und Entscheidungsspielräume eingeschränkt, wenn man Regeln nicht hinterfragt und auch nicht gelernt hat, sie zu hinterfragen.
„Noch etwas habe ich gelernt, als ich Angestellter war: Die meisten Menschen empfinden keinen besonderen Widerwillen dagegen, Befehle von anderen entgegenzunehmen und auszuführen. Es ist ihnen sogar ganz lieb. Natürlich murren sie, aber das ist nicht ernst gemeint. Sie beschweren sich bloß aus Gewohnheit. Selbstständig zu denken, Verantwortung zu tragen und Urteile zu fällen verunsichert sie nur.“
Aus: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ von Haruki Murakami, Seite 163
In den drei Wochen in Sapporo habe ich vielfältige Einblicke in das Schulsystem, in die Schulprogramme und den Alltag der einzelnen Schulen bekommen und auch in die Struktur und das Arbeitsleben in der Verwaltung. Japanerinnen und Japaner wachsen von klein auf in ein System hinein, das Individualität – die ja in unserer Gesellschaft sehr groß geschrieben wird – nicht wirklich vorsieht.
Einflüsse „von außen“ gibt es kaum, da Japan aufgrund der geografischen und politischen Situation ein geschlossenes System ist. Selbst in Tokyo habe ich nur wenige Europäer gesehen, in Sapporo wurden Ulli und ich bei unseren Schulbesuchen von den Schülerinnen und Schülern fast immer mit Erstaunen wahrgenommen, gleichzeitig aber oft auch sehr interessiert beobachtet. Fremdsprachenkenntnisse sind in Japan nicht wirklich notwendig, da kaum Ausländer dort leben. Der Englischunterricht, der in der siebten Klasse beginnt, ist sehr theoretisch und grammatikorientiert ausgerichtet, weniger auf Konversation, die Auswirkung habe ich täglich erlebt. Im Blick auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokyo will die japanische Regierung hier gegensteuern und hat ein Fortbildungsprogramm für Englischlehrkräfte aufgelegt, von dem ich bereits berichtet habe.
Vieles hat mich zum Nachdenken angeregt, vor allem dann, wenn eine Bewertung nicht so einfach war. Einheitliche Standards ermöglichen gleiche Qualität, im Gleichen geht aber sehr oft das Individuelle verloren.
Alle Kolleginnen und Kollegen, die ich in Sapporo kennen gelernt habe, waren sehr aufgeschlossen und interessiert an der Bildungssituation in Deutschland und speziell in München. Und ich kann auf alle Fälle sagen, dass die Zeit in Sapporo wirklich ein Austausch im besten Sinne war, von dem ich mir wünsche, dass sowohl in Sapporo als auch in München das Erlebte und Erfahrene weiter getragen wird, damit bei weiteren Begegnungen und Gelegenheiten daran angeknüpft werden kann.
Und zum Schluss noch ein paar Blitzlichter:
- Was mich noch weiter beschäftigen wird: Das Nachdenken über die zwei Seiten der Dinge.
- Was ich nicht wusste: Dass Fragen stellen nicht üblich ist 🙂
- Was mich erstaunt hat: Dass Japanerinnen und Japaner ihre Schuhe oft eine oder zwei Nummern größer tragen – weil das häufige Schuhewechseln dann leichter fällt…
- Was ich toll fand: „onsen“ und „sento“, die öffentlichen japanischen Bäder!
- Was mich überrascht hat: Dass man sich als ans Großstadtleben gewöhnte Münchnerin doch ganz gut in Sapporo und Tokyo zurecht finden kann. Das habe ich mir nach allem, was ich gelesen und gehört habe, schwieriger vorgestellt 🙂
- Was sich bestätigt hat: Dass Englisch in Japan wirklich eine Fremd-Sprache ist.
- Was mich gefreut hat: Dass die Kolleginnen und Kollegen in Sapporo ein so vielfältiges Programm für mich zusammengestellt haben.
- Was mir nicht abgehen wird: Die Dauerbeschallung in den Straßen und den Geschäften 🙂
- Was ich zu schätzen wusste: Das tolle öffentliche japanische Verkehrssystem! Gute Beschilderung, klares Tarifsystem, S-Bahnen im Zwei- bis Fünf-Minuten-Takt, sehr komfortable Schnellzüge, durchgängige Ansagen auch in englischer Sprache…
- Was ich ganz sicher weiß: Japan ist ein faszinierendes Land und ich kehre begeistert ob der vielen Facetten nach Hause zurück. Und klar ist auch, dass ich in Japan bei weitem noch nicht alles entdeckt habe und gerne wiederkommen werde!
Auch im Blog konnte nicht alles geschrieben werden. Bei weiterführendem Interesse an den inhaltlichen Themen freue ich mich über eine E-Mail an s.waizerfichtl@muenchen
Ich bedanke mich abschließend sehr herzlich bei allen Beteiligten im Personalreferat und im Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München und in der Stadtverwaltung von Sapporo, die diese Reise im Rahmen des Mitarbeiteraustauschprogrammes ermöglicht und inhaltlich und organisatorisch unterstützt haben. Ich freue mich sehr, dass ich die Landeshauptstadt München in unserer Partnerstadt Sapporo vertreten durfte!
Suchen und Finden.
Gegensätze, Ähnlichkeit.
So ist das Leben…
Domo arigato gozaimasu! Sayonara!